Nein, ich gehöre nicht zu den Menschen,
welche einen Felsen berühren können und dann gleich dessen grossartige Energie
aufnehmen. Ich fühle beim Betrachten unserer Berggiganten nicht
die Kraft des Universums, die mich zu neuen (Un)Taten drängt. Ich kann aber
staunend unsere grossartigen Viertausender betrachten
und dankbar an den Schöpfer denken, dem ich nicht egal bin. Ich kann mich
freuen an all den vielen Dingen, die das Leben so schön machen. Der wohltuende
Regen, der alles so grün werden lässt. Die unzähligen Alpenblumen. Die wärmende Sonne. Der streichelnde Wind. Die
kecken Wildtiere. All die erfrischenden Menschen. Ich kann dankbar
das Gute erkennen und mich deshalb auch mutig den schwierigen Herausforderungen
des Lebens stellen. Da erzählt mir eine gut 80-jährige Frau über ihr Erleben
als Verdingkind. Es war schlimm. Sie wurde bei einem Bauern platziert. Täglich
so sehr geschlagen, dass sogar die Behörden darauf aufmerksam wurden. Sie kam
in ein Kinderheim. Und damit vom Regen in die Traufe. Als Bettnässerin wurde
sie täglich von der verantwortlichen Person auf einen Stuhl gesetzt und musste
das nasse Bettlaken über dem Kopf tragen, bis dieses trocken war. Unglaublich.
Plötzlich unterbricht sie ihre grausamen Erinnerungen. Ein Strahlen geht über
ihr Gesicht, sie zeigt auf dasFletschhorn und
meint: „Es sieht aus wie das Matterhorn“. Sie kenne all diese Berge gut. Auf
manchen von ihnen sei sie auch selber gewesen. Sie hätte auch manch Gutes
erlebt in ihrem Leben. Das wolle sie nicht vergessen. Ein Blick auf die
grossartige Schöpfung kann wirklich gut tun.
Christoph Gysel